Der Berliner Besuchshunde Blog

Zuerst bekam ich den Hund, den ich brauchte.

Und dann hatte ich den Hund, ich mir verdiente.

Dies ist ein sehr persönlicher Beitrag in Memoriam der beiden besten Besuchshundedamen, die ich je kannte: Roula und Emma. Sie waren anfangs Arbeitskolleginnen und später gute Freundinnen. So wie ihre beiden „Frauchen“. Und sie waren unsere Seelenhunde.

Als ich den Beitrag über alternde Hunde schrieb, gab es einen konkreten Anlass. Denn ich bemerkte Veränderungen an meiner Roula – und auch an Emma. Meine Freundin und ich nahmen unsere Hunde aus dem aktiven Dienst, denn sie sollten einen schönen, hundegerechten Lebensabend haben. Das hatten sie sich verdient. Zunächst zu viert, später zu fünft, denn meine Freundin holte sich Josie, einen süßen Beagle-Mix als Welpe. Roula und Emma halfen beim erzieherischen Training dieses Wirbelwindes, und ich wurde Josies zweibeinige Patentante.

Inzwischen sind Roula und Emma im Regenbogenland, und der Verlust schmerzt uns beide noch immer. Und das obwohl meine Freundin mit der wunderbar quirlige Josie unterwegs ist und ich seit einem guten Jahr die wunderschöne, gelassene Saluki-Bracke-Mix Hündin aus Griechenland an meiner Seite habe.

Der Seelenhund

Es gibt diesen einen, ganz speziellen Hund, dem wir nur einmal im Leben begegnen. Der sich so tief mit uns verbindet, dass man glaubt, es werden uns ganze Stücke aus unserer Seele gerissen, wenn wir loslassen müssen. Sicher, jeder Hund ist besonders und einzigartig. Und alle Hunde haben das unglaubliche Talent, sich in unseren Herzen festzusetzen, obwohl wir uns jedes Mal vornehmen, uns nicht noch einmal so emotional tiefgehend an ein Lebewesen zu binden. Zu groß ist der Schmerz, wenn unser vierbeiniger Liebling stirbt. Aber wir tun es doch, dass wir uns jedesmal von neuem darauf einlassen. Und das ist auch sehr heilsam.

Die Begnung und das Leben mit dem Seelenhund bleibt dennoch einzigartig. Und es ist ein wundervolles Geschenk. Als mich Roula damals im Hotelgarten auf der Sonnenliege ruhend fand, hatte ich keine Chance, diesem Schicksal zu entkommen. Da war sie, ein Hund wie ich ihn drigend brauchte. Immer fröhlich und gut gelaunt, aufgeweckt, frech und witzig. Sie passte vom ganzen Wesen – quasi wie im Universum der Hundevergabe bestellt – perfekt in meine damaligen Lebensumstände und in meine Vorstellung, wie der Hund, nach dem ich suchte aussehen sollte. Sie brauchte dringend Liebe, Schutz und ein Zuhause. Das alles suchte und fand sie bei mir. Kein Wunder, dass wir sofort eine Verbindung hatten.

Wir bildeten eine Einheit

Über die Jahre half ich ihr, alle ihre Unsicherheiten und Ängste abzubauen. Aber ich unterstützte sie auch ungewollt bei der Entwicklung einiger Unarten. Ich brachte ihr das Betteln bei – immerhin konnte ich ihr das Klauen und Mülleimer ausräumen abgewöhnen. Ich nahm ihr die Angst vor fliegenden Mülltüten-Monstern und dunkelhäutigen Männern (ja, sie war eine sexistische Rassistin, und das im Berliner Mitte Kiez Moabit!). Dafür scheinattaktierte sie in typischer „Kleinehunde-Manier“ jeden anderen Hund, der ihr zu groß oder zu obsessiv war. Sehr peinlich. Sie verteidigte ihre bzw. unsere Katze (und die meiner Mutter), obwohl sie Katzen hasste und jede nach Strich und Faden vermöbelte, die sie erwischen konnte. (Keine Sorge, außer einem verletzten Stolz trugen die Katzen keinen Schaden davon).

Aber was das wichtigste war: Roula las mich wie ein offenes Buch. Und ich sie. Wir vertrauten einander wirklich blind. Sie war trotz ihrer ungestühmen Frechheiten ein richtig gut trainierter und sehr wissbegieriger Hund. Innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde begriff sie, was ich von ihr erwarte. Und ich konnte von ihrer Körperhaltung und ihrer Mimik genau ablesen, was sie dachte, wollte oder brauchte. Wir machten fast alles gemeinsam: arbeiten gehen, mit Flugzeug oder Auto verreisen, Freunde und Familie (mit Katze!) besuchen. Wenn ich ausnahmsweise alleine unterwegs war, beantwortete ich die Frage „Wo ist denn Roula?“ mit: „Ja danke der Nachfrage. Mir geht es auch gut, und ich finde es auch schön, Dich zu sehen.“ Wir waren eine Einheit und wurden auch von unserer Umgebung als solche wahrgenommen.

Die Arbeit mit und aneinander

Heute denke ich, dass sicherlich unsere gemeinsame Arbeit im Besuchsdienst zu dieser engen Bindung beigetragen hat. Nun muss nicht jeder Besuchshund auch gleich ein Seelenhund werden. Aber durch Roula habe ich auch gelernt, dass man an der Beziehung zu seinem Hund arbeiten muss. Wie oft sehe ich Menschen mit Handy in der Hand ihre Hunderunde machen. Noch deutlicher kann man nicht signalisieren, dass einem der Hund in diesen wenigen gemeinsamen Momenten eigentlich unwichtig ist. Und der Hund spürt das, denn es sind verdammt gute Beobachter und Menschenleser.

Ebenso oft erlebe ich, dass sich ein Hund daneben benimmt und dann auf ihn entweder „beruhigend“ oder schimpfend eingeredet wird, was er alles falsch gemacht hat. Anstatt seine Körpersprache VORHER zu lesen, richtig zu deuten, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und ihn so knapp wie präzise klare Ansagen zu machen. Besser kann man seinem Hund das falsche Benehmen nicht beibringen: Fehlverhalten geschehen lassen und dann mit viel oder falsch zu verstehender „Zuwendung“ reagieren. Bei Roula weiss ich, dass sie auf meine Unsicherheit bei der Begegnung mit großen Hunden reagierte. Mein Mann hatte diese Probleme nie. Irgendwann lernte ich, Roulas Einschätzung bei anderen Hunde zu vertrauen und ihr den Kontakt zu erlauben – oder sie davor abzuschirmen. Danach wurde es besser. Wenn sie Probleme mit anderen Hunden hatte, suchte sie bei mir Schutz. Und sie bekam ihn.

Eine wichtige Grundregel

Dank Roula konnte ich eine wichtige Grundregel im gemeinsamen Leben mit einem Hund verinnerlichen. Davon profitiere meine aktuelle vierbeinige Begleiterin Fedora. Sie kam zu uns als traumatisierte, sehr unsichere Hündin, von griechischen Tierschützern gerettet wurde – leider verlor sie trotz aller Bemühungen vier ihrer fünf Welpen. Nach einem knappen Jahr wurde sie immer selbstsicherer und neugieriger.Und für einen großen Jagdhund/Windhundmix war sie ziemlich schnell sogar recht gehorsam. Als Besuchshund wird sie sich nie eignen, denn dazu ist sie fremden Menschen gegenüber zu zurückhaltend. Und sie wird in ungewohnter Umgebung auch immer impulsiv schreckhaft bleiben. Wenn ein Hund ihrer Größe (55 cm, ca. 28 kg) einen riesen Satz in eine unvorhersehbare Richtung macht, ist das nicht ungefährlich. Aber sie muss auch nicht in Roulas mental große Fußstapfen treten. Im Gegenteil, dadurch, dass sie eher ein ruhiger Couchpotatoe ist, die unsere gemeinsam großen Spaziergänge genießt, ist sie wieder der perfekte Hund für mich. Wir haben uns gegenseitig über unseren Schmerz hinweg geholfen. Und das war der Beginn einer neuen, wunderbar vertrauten Freundschaft.

Jeder psychisch einigermaßen gesunde Hund bringt das Grundvertrauen mit, dass der Mensch ihn „führt“ und ihn nicht im Stich lässt. Vor allem nicht in schwierigen und bedrohlichen Situationen. Er muss sich darauf verlassen können, dass man als Rudelführer die richtigen Entscheidungen trifft und das drum herum im Griff hat. Wenn man diese Erwartungshaltung nicht enttäuscht, dann hat man den Hund, den man sich wünscht, den man braucht und den man verdient. Andernfalls auch umgekehrt, nur mit negativen Vorzeichen. Aber ich hoffen natürlich, dass weder Sie noch ich auf der falschen Seite landen.

Übrigens…

Wenn Sie sich jetzt Fragen, ob Emma auch so ein Seelenhund für meine Freundin war. Ja, das war sie. Das weiss ich aus unseren vielen Gesprächen – und aus der Beobachtung, wie die beiden miteinander „interagiert“ haben. Auch sie waren eine Einheit. Und wir teilen bis heute gemeinsam den Schmerz, dass unsere beiden Mädels so kurz hintereinander gegangen ist. Aber Josie und Fedora sind inzwischen auch enge Freundinnen geworden. Die beiden Schulter an Schulter zu sehen, erinnert zwar ein wenig an „Latsch & Stoffel“ wegen des erheblichen Größenunterschiedes. Aber uns beiden geht dabei das Herz auf und wir müssen sofort wieder schmunzeln.